Rolland-Methode
Streicherklassenunterricht an allgemeinbildenden Schulen erfüllt eine zentrale Forderung zeitgemäßer Musikdidaktik, nämlich dass der Musikunterricht praxisbezogen, anschau-lich und damit erfahrungsbetont sein soll. Unabhängig davon, ob der Streicherklassenunterricht in den Regelunterricht der Schule integriert wird oder als Ergänzung zum Schulfach Musik angeboten wird, findet eine Aufwertung des Unterrichtsfaches Musik an der Schule statt. An Schulen, die sich in Richtung Ganztagskonzept bewegen, erfüllt Streicherklassenunterricht in Kooperation mit Musik-schulen die Forderung nach pädagogisch hochwertigen, in Bezug zum Kernunterricht stehenden Ganztagsangeboten. Der Streicherklassenunterricht greift Lehrplaninhalte des Schulfaches Musik auf und vertieft diese. Er kann daher als Bestandteil des regulären Musikunterrichts angewandt werden
Streicherklassenprojekte basieren auf der Kooperation einer allgemeinbildenden Schule mit einer Musikschule. Optimal für die Realisierung eines Streicherklassenprojektes ist ein Lehrerteam, das aus einem Schulmusiklehrer, der über umfassende Kenntnisse auf einem Streichinstrument verfügt, und einem Instrumentalpädagogen der ortsansässigen Musikschule besteht. Aber auch wenn ausschließlich Musikschullehrer den Streicherklassenunterricht durchführen, kann ein Projekt gelingen. Voraussetzung ist hier ein guter Kontakt zu den Musiklehrern der Schule sowie zur Schulleitung, idealerweise über einen Musiklehrer, der selbst in der Streicherklasse mitarbeitet (indem er unterstützende Aufgaben wahrnimmt, die keine streicherspezifischen Kenntnisse erfordern) und den Kontakt zur Schule absichert.
Streicherklassenunterricht ist instrumentaler Anfangsunterricht.
Deswegen gilt es als Bedingung für die Teilnahme an einem Streicherklassenprojekt, dass keine Vorkenntnisse auf dem gewählten Instrument bestehen. Das Kennenlernen des Instrumentes in einem „Schnupperkurs“ oder „Instrumentenkarussell“ stellt keinen Erwerb von Vorkenntnissen dar.
Die Grundlage des Lernens in der Streicherklasse bildet die Klassenstunde. In der Klassenstunde unterrichten mindestens zwei Lehrer im „Team – Teaching“ – d.h. sie leiten abwechselnd die Klasse bei der Erarbeitung des Unterrichtsstoffes an. Während ein Lehrer vor der Klasse steht, fungiert der andere als „Assistent“, dessen Aufgabe es ist, einzelnen Schülern (in der Regel nonverbal) Hilfestellung bei der Erfüllung der gestellten Aufgaben zu geben. Beide Lehrer verfügen sowohl über umfassende Kenntnisse auf einem Streichinstrument, als auch über pädagogische Erfahrung, wobei das Hauptfachinstrument des einen Lehrers Geige oder Bratsche, das des anderen Cello oder Kontrabass sein sollte. Die Grundlagen des Spiels auf allen vier Streichinstrumenten muss jeder Streicherklassenlehrer beherrschen. Denn in der Klassenstunde wird mit Geigen-, Bratschen-, Cello- und Kontrabassschülern gleichzeitig gearbeitet. Hier eignen sich die Schüler im Klassenverband in kleinen Schritten gemeinsam instrument-ales und allgemeinmusikalisches Wissen und Können an.
Die wöchentliche Kleingruppenstunde dient der Vertiefung des Lernstoffes, dessen instrumenten-spezifischer Anwendung und dem Eingehen auf individuelle Gegebenheiten und Probleme der Schüler. Hier lernen durchschnittlich 5 Schüler in instrumenten-homogener Besetzung unter Anleitung durch den Streicherklassenlehrer, der das jeweilige Instrument als sein Hauptinstrument unterrichtet. Die Kleingruppenstunde sollte nach Möglichkeit an einem anderen Wochentag als die Klassenstunde stattfinden.
Für die Tage, an denen kein Instrumentalunterricht in der Schule stattfindet, sollte jeder Schüler die Möglichkeit haben, zu Hause zu üben. Damit die Schüler, die oft keine fachliche Unterstützung von ihren Eltern bekommen können, zu Hause eigenständig üben können, muss der Lernstoff entsprechend geordnet und vermittelt werden. Eine detailliert ausgearbeitete Didaktik der kleinen Lernschritte ermöglicht allen Schülern, die Unterrichtsinhalte zu verstehen und selbständig zu Hause zu wiederholen. Schriftliche Notizen zu Übaufgaben und –schwerpunkten erleichtern den Überblick beim Üben. Grundschüler sind oft noch nicht in der Lage, einen längeren Text in angemessener Zeit zu notieren. Hier hilft ein von den Lehrern vorbereiteter Übeplan. Folgende Tabellen zeigen beispielhaft, wie Übepläne für Schüler der 1. Klasse und für ältere Schüler gestaltet sein können:
Was am jeweiligen Tag zu Hause geübt wurde, wird in der entsprechenden Spalte angekreuzt, abgehakt oder mit Smiley o.Ä. versehen. Die grauen Felder in manchen Zeilen bedeuten, dass die betreffende Aufgabe zeitweise entfällt.
Die Methode des Streicherklassenunterrichts nach Paul Rolland folgt bestimmten Grundprinzipien, die man wie folgt zusammenfassen kann:
Die Unterrichtssituation in einer Streicherklasse unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der im instrumentalen Einzel- oder Partnerunterricht und verlangt daher eine gemeinsame, detaillierte Unter-richtsvorbereitung durch das Lehrerteam.
Die Zielsetzung - es Anfängern zu ermöglichen, eine solide Spieltechnik aufzubauen und den praktischen Umgang mit Musik mit Freude zu erlernen – deckt sich mit den Zielen der instrumentalpädagogischen Arbeit in anderen Unterrichts-formen. Während in herkömmlichen Unterrichtsformen im Einzel- oder Partnerunterricht die Spieltechnik aufgebaut und im Ensemblespiel angewendet wird, sind im Streicherklassenunterricht beide Aspekte von Bedeutung. Die Lernschritte werden von allen Schülern gemeinsam vollzogen und müssen deswegen didaktisch den Erfordernissen der Klassensituation entsprechend aufgebaut und vorbereitet sein. Am Ende jeder Arbeitsphase einer Unterrichtsstunde wird das Ergebnis gemeinsam zum Klingen gebracht.
Möglichkeiten der schriftlichen Unterrichtsvorbereitung:
Beispiel a): Unterrichtsablauf in tabellarischer Form
Streicherklasse 2
Am Stundenanfang muss Zeit zum Auspacken und Stimmen eingeplant werden (ca. 15 min), vor Stundenende müssen die Instrumente eingepackt und weggeräumt werden (ca. 5 – 6 min).
Beispiel b):Themenblock – Übersicht
Streicherklasse 1
Eine Streicherklassenstunde setzt sich aus mehreren kleinen Einheiten zusammen, in denen unterschied-liche Themen bearbeitet werden.
Eine Unterrichtseinheit sollte 2 – 7, auf keinen Fall mehr als 10 Minuten beanspruchen und aus unterschiedlichen Bereichen ausgewählt sein. Dies ist förderlich für Konzentration und Merkfähigkeit. Am Ende jeder Unterrichtseinheit steht ein klingendes Ergebnis. Methodenvielfalt reizt zu engagierter Mitarbeit an.
Bei der Auswahl der Unterrichtsthemen sollten folgende Bereiche beachtet werden:
• Aufbau der Spieltechnik
• Musiktheorie
• Gehörbildung
• Rhythmustraining
• Singen
• Präsentieren
Mögliche Methoden, hier dargestellt am Beispiel der Erarbeitung eines neuen Liedes:
Rhythmus
Sprechrhythmus des Liedtextes
Rhythmussprache
Vor- und Nachklatschen
Bodypercussion
Bewegung im Raum
Notenbild
Melodie
Singen
Griffschema
Griffschrift
Solmisation
Fingersätze singen
Fingersätze in der Luft greifen
Die ausgewählten Methoden müssen dem Alter und dem Leistungsstand der Kinder sowie dem Musikstück angemessen sein.
Wie in jedem Unterrichtsfach, lernen in einer Klasse unterschiedlich begabte Schüler zusammen.
Der instrumental-methodische Grundsatz, sowohl beim motorischen Lernen als auch bei der Ausbildung des Gehörs und des Denkens in musiktheoretischen Zusammenhängen von zunächst großräumigen, groben Mustern auszugehen und diese im Verlauf der zweijährigen Projektzeit zunehmend zu verfeinern, ermöglicht eine Binnendifferenzierung, durch die Schüler mit unterschiedlichem Begabungspotenzial innerhalb einer Klasse gefördert werden können. Eine vielfältige Auswahl der Lerninhalte und der Unterrichtsmethoden für jede Streicherklassenstunde ermöglicht es, die unterschiedlichen Begabungsschwerpunkte der Kinder zu berücksichtigen. Kurze Zeiten des individuellen Probierens („Chaosphasen“) und Unterrichtsabschnitte mit differenter Aufgabenverteilung ermöglichen zeitweise das Arbeiten im eigenen Lerntempo.
Für einen geordneten Ablauf der Klassenstunde ist ein gut überlegtes Klassenmanagement erforderlich. Über folgende Punkte sollten die Streicherklassenlehrer im Vorfeld entscheiden und die so aufgestellten „Regeln“ in der ersten Stunde mit den Schülern besprechen bzw. den Unterrichtsraum entsprechend vorbereiten:
• Sitzordnung (Raumangebot beachten!)
• Wer legt wo sein Instrument ab? (im Unterricht, sowie davor und danach)
• Soll die Federmappe mitgebracht werden? Wo liegt sie, während sie nicht benutzt wird?
• Wie läuft das Stimmen ab?
• Handzeichen für Ruhe
Ausbildung der Lehrer
Streicherklassenunterricht zu erteilen, erfordert eine Ausbildung für diese Unterrichtsmethode. Eine entsprechende Zusatzqualifikation können Musikschullehrer und Schulmusiker in berufsbegleitenden Fortbildungskursen, z.B. an der Landesmusikakademie Thüringen, erwerben. Einige Studieneinrichtungen, wie z.B. die Universität Mainz und die Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, bieten eine Streicherklassenausbildung für ihre Schulmusik- und Instrumentalpädagogikstudenten an.